Katastrophenvorsorge nach Maß
13.05.2019
Immer öfter besiedeln Menschen weltweit katastrophengefährdete Gebiete. In solchen Regionen können Naturkatastrophen durch Wechselwirkungen und Kettenreaktionen ein verheerendes Ausmaß annehmen. Wie ist eine solche Situation zu managen? Ein Team am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) hat ein mehrstufiges Risiko-Governance-Konzept für Naturkatastrophen entwickelt.
Eine Naturgefahr wirkt sich negativ auf Mensch und Natur aus – so die gängige Definition. Allerdings treten heutzutage Naturereignisse selten allein auf. Ob Jahrhundertflut im Jahr 2002 in Deutschland, Wintersturm Kyrill 2007 oder Waldbrand in Brandenburg 2018 - in der Regel sind Naturgefahren gekoppelt an vom Menschen beeinflusste Prozesse oder sie werden vom Menschen ausgelöst. So trafen bei den genannten Beispielen die Naturgefahren auf vom Menschen errichtete Infrastrukturen, was das Ereignis jeweils verschlimmert hat.
Am offensichtlichsten wird das Zusammenspiel von natürlichen Gefahren mit nicht-natürlichen Risiken am Fall des Reaktorunglücks in Japan: Zunächst tritt ein Erdbeben auf, welches einen Tsunami nach sich zieht. Dieser jedoch trifft auf eine dicht besiedelte Küste und den dortigen Atommeiler. Eine Kette von Ereignissen löst die Nuklearkatastrophe von Fukushima aus.
Wechselwirkungen zwischen einer Naturgefahr und einer vom Menschen verursachten Katastrophe sind ein neueres Phänomen. Dies hat seinen Ursprung einerseits in einer immer dichteren Besiedelung bis in Katastrophenregionen hinein. Andererseits liegt dies an den für Naturgewalten anfälligen urbanen, technologischen und künstlichen Infrastrukturen. Am Ende wirkt sich dies auf im Gefahrengebiet angesiedelte Pipelines, Reaktoren oder chemische Fabriken aus.
Konzept der Systemischen Risiken für komplexe Naturereignisse
Manchmal werden Naturgefahren durch menschliche Eingriffe beeinflusst oder erst ausgelöst wie beispielsweise häufigere Extremwetterereignisse durch den Klimawandel. Natürliche und nicht-natürliche Risiken spielen dabei zusammen und ergeben ein äußerst komplexes Interaktionsfeld: „Umso umfassender muss die Risikoanalyse ausfallen“, sagt Pia-Johanna Schweizer vom IASS. Erst-Autorin der im Global Assessment Report on Disaster Risk Reduction 2019 (GAR19) des United Nations Office for Disaster Risk Reduction veröffentlichten Studie ‚Governance of Systemic Risks for Disaster Prevention and Mitigation‘. „Wie das gelingt, zeigt in unserer Veröffentlichung ein Schema fürs Management solcher Naturkatastrophen, das auf Basis des Konzepts der Systemischen Risiken von uns erarbeitet wurde“, sagt Risikoforscherin Schweizer
Doch was ist ein Systemisches Risiko?
Die Autoren nennen fünf Haupteigenschaften: eine hohe Komplexität, eine grenzüberschreitende Natur, eine nicht-lineare Entwicklung mit Kipppunkten, eine möglicherweise lange Stabilität bis zu einem Wendepunkt mit raschem Zusammenbruch des Gesamtsystems und eine häufig auftretende Unterschätzung des Risikos. All diese Eigenschaften passen zu Naturgefahren, die auf vom Menschen errichtete Infrastrukturen treffen und mit diesen in Wechselwirkung treten.
Bewertungskriterien für eine effektive Risiko Governance
Die Autoren empfehlen folgende Vorgehensweise zum Umgang mit systemischen Risiken, die von Naturgefahren ausgehen:
1. Zunächst wird das Risikoproblem formuliert, indem Ausmaß und jeweiliger Kontext der Naturgefahr einbezogen werden.
2. Im nächsten Schritt müssen Risikobewertung und Bedenkenabschätzung einfließen. Vor allem Letzteres ist wegen der Komplexität der Daten eine große Herausforderung. Die Bewertung der Gefahr sollte sich daher vor allem auf die Nebenwirkungen und Interdependenzen fokussieren, raten die Autoren.
3. Es folgt die Wissenscharakterisierung und -bewertung.
4. Ein weiterer Faktor ist der zeitliche Aspekt; das Management von Naturgefahren in einem angemessenen Zeitrahmen ist entscheidend. Zugleich sollten an dieser Stelle Stakeholder einbezogen werden, um auch lokales und indigenes Wissen einzubeziehen.
5. Die zuvor zusammengetragenen Ergebnisse fließen in die Ausarbeitung der Risikomanagementstrategie etwa mittels Multikriterienanalyse ein. Vor allem die Schwachstellen in Bezug auf die bebaute Umgebung gilt es nun auszuloten.
6. Risikokommunikation: Von der Formulierung des Risikos über die kontinuierliche Kommunikation von Wissenschaft mit Politik bis zur angemessenen Kommunikation in die Bevölkerung hinein, um sie ausreichend über die Risiken zu informieren und alle Sichtweisen ausreichend zu berücksichtigen. Risikokommunikation gewährleistet zugleich kontinuierliches Feedback zwischen allen Governance-Phasen.
Die Autoren sprechen schließlich Empfehlungen für Kommunen und Verwaltungen aus. Es sollte eine allgemeine Metadatenbank entwickelt werden, die regional, national und international bereits bestehende Datenbanken vernetzt. Damit wäre eine internationale Harmonisierung der verschiedenen Datenbanken realisierbar, um einen einheitlichen gemeinsamen Dienst für Behörden und Einwohner anbieten zu können. Ziel sollte eine Vereinheitlichung der Warnungen sein, damit diese von allen verstanden werden können.
Ein weiterer Punkt sei das Fehlen von interdisziplinärer Kompetenz, von einer integrierten Expertenausbildung für Katastrophenschutz und Krisenprävention sowie eines effizienten Netzwerks von Experten für Naturgefahren, die in größere systemische Risiken eingebettet sind. Um erfolgreich ein solches Netzwerk aufzubauen, würden Ressourcen benötigt, um länderübergreifende Kompetenzteams zu bilden.
Forderung nach einem unabhängigen Institut für Risikobewertung
Schlussendlich wäre ein unabhängiges Institut für systemische Risikobewertung und -steuerung zu gründen, das darauf abzielt, natürliche und technologische Risiken frühzeitig zu erkennen und zu warnen, da beide Risikoarten immer stärker miteinander verknüpft sind. Ganz konkret etwa mit Blick auf die erhöhte Waldbrandgefahr in vielen Teilen Deutschlands empfiehlt Hauptautorin Schweizer: „Es sollte umgehend damit begonnen werden, Evakuierungspläne von Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten und anderen öffentlichen Einrichtungen abzufragen, um diese dann zu überprüfen. Daneben braucht es offizielle Koordinierungsstellen für Katastrophenfälle in den einzelnen Ländern“, sagt Risikoforscherin Schweizer - „letztendlich müsste der Ernstfall geprobt werden, um mögliche Schwachstellen zu finden und rechtzeitig zu beheben.“
Publikation:
Pia-Johanna Schweizer und Ortwin Renn: Global Assessment Report on Disaster Risk Reduction (GAR), chapter 2 Global Risk Trends - Governance of Systemic Risks for Disaster Prevention and Mitigation, UNDRR, 15.5.2019.