Research Institute for
Sustainability | at GFZ

Suffizienz als Chance begreifen

03.03.2025

Marion Davenas

M. A. Marion Davenas

marion [dot] davenas [at] rifs-potsdam [dot] de
Thomas Spinrath

M. A. Thomas Spinrath

thomas [dot] spinrath [at] rifs-potsdam [dot] de
Suffizienz

Im Gegensatz zu Frankreich trauen sich in der deutschen Politik nur wenige, die für den Klimaschutz notwendigen Verhaltensänderungen anzusprechen. Im neuen Diskussionspapier „Wege zum Genug“ argumentieren wir, dass Suffizienz von ihrem negativen Ruf als Verzicht und Zwang befreit werden kann. Dazu sind strukturelle Maßnahmen gefragt, die Suffizienz für alle attraktiv machen und eine gerechte Verteilung der Ressourcennutzung gewährleisten.

Der Klima- und Umweltpolitik weht ein rauer Wind entgegen: In Deutschland wie in Frankreich werden Klimaschutzmaßnahmen zunehmend als ungerecht und freiheitsberaubend kritisiert. Besonders umstritten ist die Suffizienz – also eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs durch Verhaltensänderungen. Wir, das Deutsch-Französische Zukunftswerk, haben in zahlreichen Dialogformaten und Interviews mit kommunalen Vertreter:innen über Suffizienz diskutiert. Wir begegnen immer wieder derselben Einschätzung: Suffizienz spielt in der Klimapolitik bislang eine untergeordnete Rolle, weil die Politik befürchtet, dass die Bevölkerung sie als unzumutbare Einschränkung wahrnimmt.

Doch wäre es ein Fehler, Suffizienz weiterhin als Tabuthema der Klimawende zu behandeln. In der Wissenschaft besteht Einigkeit: Effizientere Technologien allein werden nicht ausreichen – auch unser Konsumverhalten muss sich ändern. Das bedeutet aber nicht einfach nur Einschränkung. In unserem Diskussionspapier argumentieren wir auf Basis des deutsch-französischen Austauschs in sechs Thesen, dass eine gut gestaltete Suffizienzpolitik viele Vorteile für Kommunen und Individuen hat und den sozialen Ausgleich stärkt.

Überall „sobriété“, doch nirgends Suffizienz?

Wir sehen mit dem Blick nach Frankreich: Eine strategische Verankerung der Suffizienz ist politisch möglich. Dort hat die Regierung bereits 2020 sobriété als zentrale Säule der Energiestrategie anerkannt und einen nationalen Suffizienzplan vorgelegt. Spätestens seit der Energiekrise ist die sobriété in politischen Debatten, Strategien und Gesetzestexten zur Energiewende allgegenwärtig. Laut der Organisation négaWatt, die das Konzept maßgeblich geprägt und in die öffentliche Debatte eingebracht hat, hat der nationale Impuls der Regierung dazu beigetragen, einen klaren Rahmen zu schaffen und eine Dynamik für mehr Suffizienz anzustoßen. Zahlreiche Kommunen sind dem Impuls der Regierung gefolgt und haben eigene Suffizienzpläne verabschiedet.

Politik muss Rahmenbedingungen verändern

Trotz dieser Vorreiterrolle in Europa stößt der französische Ansatz an Grenzen. Die französische Suffizienzstrategie konzentriert sich vor allem auf kurzfristige, individuelle Verhaltensanpassungen: Die Heizung runterdrehen, kürzer duschen, Licht ausschalten – Maßnahmen, die wichtig sind, aber nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was Suffizienz leisten kann. Damit Suffizienzpolitik ihr volles Potenzial entfalten kann, muss sie über individuelle Appelle hinausgehen und strukturelle Veränderungen anstoßen. So betonte die Forscherin Michaela Christ (Deutsches Institut für Urbanistik) in einem unserer deutsch-französischen Dialoge: „Ein hoher Ressourcenverbrauch ist kein Zufall, sondern das Ergebnis politischer Maßnahmen, die unseren Lebensstil beeinflussen.“ Infrastrukturen, die Raumordnung, Rechtsvorschriften, finanzielle Anreize müssen so umgestaltet werden, dass ressourcenschonende Entscheidungen attraktiv werden – unabhängig davon, wie „umweltbewusst“ Menschen sind. Der Forscher Jonas Lage (Europa-Universität Flensburg) bringt es auf den Punkt: „Die Kopenhagener:innen fahren nicht Fahrrad, weil sie alle Ökos sind, sondern weil die Stadt so gestaltet ist, dass Fahrradfahren – und nicht Autofahren – das Normale, das Einfache, das Schöne und das Bequeme ist.“

Lokale Beispiele zeigen: Suffizienzpolitik muss sozial gerecht sein

Verhaltensänderungen müssen einen spürbaren, unmittelbaren Mehrwert bieten – und sie müssen als gerecht empfunden werden. Erzwungene Einsparungen – z.B. aufgrund der hohen Belastung der Energiepreise für einkommensschwache Haushalte – können daher nicht als Erfolg der Suffizienzpolitik gewertet werden. Für Menschen in prekären Lebenslagen darf eine Suffizienzpolitik nicht noch mehr Einschränkungen bedeuten, sondern muss ihnen einen gerechteren Zugang zu Ressourcen verschaffen.

Ein Beispiel dafür findet sich in Karlsruhe: Mit dem Projekt Wohnraumakquise durch Kooperation bewirkt die Stadt, dass leerstehende Wohnungen in Wohnraum für Menschen umgewandelt werden, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Die Stadt bietet dafür den privaten Eigentümer:innen Renovierungszuschüsse und Mietausfallgarantien. „Viele Eigentümer:innen wollen eine regelmäßige und pünktliche Mietzahlung – nicht unbedingt einen maximalen Ertrag“, erklärt Steffen Schäffer, der bei der Stadt Karlsruhe für das Programm zuständig ist. Durch die Vermeidung von Neubau werden Ressourcen gespart und gleichzeitig neuer bezahlbarer Wohnraum geschaffen.

Ein weiteres Beispiel findet sich in der französischen Stadt Montpellier, wo progressive Wassertarife eingeführt wurden. Hier erhalten die Einwohnenden jährlich 15 Kubikmeter Wasser kostenfrei. Darüber hinaus steigt die Preisgestaltung progressiv und richtet sich nach dem Gesamtwasserverbrauch. Dieses Preismodell sorgt dafür, dass hohe Verbraucher mehr bezahlen, ohne dass Kleinverbraucher belastet werden.

Klimaschutzmaßnahmen finden dann besonders hohe Akzeptanz, wenn sie als gerecht wahrgenommen werden – etwa, weil sie zuerst diejenigen in die Pflicht nehmen, die den größten CO₂-Fußabdruck haben, oder weil sie durch gezielte Ausgleichsmechanismen flankiert werden. Die aktuelle Skepsis gegenüber bestimmten Klimaschutzmaßnahmen sollte daher nicht zu einem Rückschritt in den politischen Ambitionen führen. Sie sollte vielmehr als Ansporn für die Politik dienen, gute Rahmenbedingungen für ressourcenschonende Lebensstile zu setzen, die soziale Gerechtigkeit und Resilienz stärken. 

Lesen Sie das vollständige RIFS Discussion Paper zur Suffizienz aus einer deutsch-französischen Perspektive: 

Lesen Sie mehr zum Deutsch-Französischen Zukunftswerk und unseren Handlungsempfehlungen unter https://df-zukunftswerk.eu/
 

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